, Kuratli Jonas

Der Chilene, der nicht nur geographische Höhen überwindet

Zuerst war er Spitzensportler, dann Reisender ohne Ziel: Der Stabhochspringer Daniel Zupeuc erlebte in seiner Sportkarriere viele Höhen und Tiefen. Jetzt will der Chilene zurück zu seiner Passion – dem Stabhochsprung. Dabei hat er grosse Visionen.

Es ist kurz nach 20 Uhr. Das Industriegebiet Frauenfelds liegt bereits im Dunkeln. Nur die Sportanlage Allmend ist mit grellen Schweinwerfern beleuchtet. Mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht verlässt Daniel Zupeuc das Athletics Center in Frauenfeld. «Das Training war heute kürzer als sonst», begründet der 29-Jährige seine Freude. Er ist eingemummt in einen schwarzen Nike-Mantel, unter den Arm hat er eine Sporttasche geklemmt. «An die Kälte hier in der Schweiz bin ich mich definitiv noch nicht gewohnt», sagt der Chilene in gebrochenem Hochdeutsch. «Ich bin zu 50 Prozent Deutscher, zu 25 Prozent Slowene und zu 25 Prozent Italiener. Im Herzen bin ich aber Chilene», sagt Zupeuc, der seit seiner Jugend stabhochspringt, stolz. Er ist gesprächig, sein Lachen ansteckend. Der Spitzensportler mit deutschem und chilenischem Pass lebt nun bald zwei Jahren in der Schweiz. Weil er in Chile seine Passion nicht mehr ausüben konnte, nahm er sich eine Auszeit – jedoch länger als geplant.

Chiles Nachwuchshoffnung

Mit sportbegeisterten Eltern und einer jüngeren Schwester wuchs Zupeuc in einem Haus in Santiago de Chile auf. Bereits als Teenager träumte er von Olympia. «Zu Beginn meiner Leichtathletik-Karriere hat mich mein Vater trainiert», sagt Zupeuc, inzwischen in seiner Wohnung in Winterthur angekommen. Dort begrüsst er seinen fast doppelt so alten WG-Mitbewohner und setzt sich an den Küchentisch.

Der Plan des fokussierten Sportlers ging auf: Zuerst chilenischer Meister im Hochsprung, gewann Zupeuc mit 19 Jahren die südamerikanischen Meisterschaften im Stabhochsprung. Seine persönliche Bestleistung: 5.30 Meter. Eine Höhe, die zu dieser Zeit kein anderer Athlet in Chile springen konnte. Von sich selbst behauptet Zupeuc, kein Naturtalent zu sein. Viel eher habe er herausgefunden: «Wenn ich daran glaube, kann ich alle meine Ziele erreichen.»

Grosse Visionen, wenig Möglichkeiten

Inzwischen ist es 20.40 Uhr. Zupeuc stellt seine Sporttasche in sein Zimmer und wechselt von seinen Trainingskleidern zu Trainerhose und Baumwoll-Shirt. «Ich muss noch kurz Wäsche machen», sagt er und fügt an: «Dafür hatte ich die ganze Woche keine Zeit.»

Wenn der ehemalige Ingenieur-Student nämlich nicht gerade im Training ist, arbeitet er fünf Tage die Woche bei CLEMAP, einer Energie-Monitoring Firma mitten in Zürich. Sein Alltag ist klar strukturiert, Freizeit bleibt kaum. «Ich bin ein ganz normaler Software-Entwicklungs-Dude», witzelt Zupeuc, der in Santiago de Chile den «Bachelor in Engineering» abgeschlossen hat.

Zupeuc lehnt sich an den Küchentresen und verschränkt die Arme. Er holt tief Luft und sagt: «Ich war in Chile nicht mehr gefordert, weil ich keine Konkurrenz mehr hatte.» Auch die Infrastruktur wurde dem damals 22-Jährigen bald zum Verhängnis. Der Import von Stabhochsprungstäben sei schwierig gewesen, Indoor-Hallen habe es in Chile keine gegeben. «Also musste ich im chilenischen Winter einige Male bei null Grad draussen springen.» Zupeuc dreht sich zum Wasserhahn und trinkt durstig ein Glas Wasser. Er fährt fort: Seine Toleranzgrenze habe dann ein Wettkampf überschritten, an dem er aufgrund einer kaputten Stabhochsprunglatte nicht antreten konnte. «Ich bin 20 Stunden gereist, habe eine wichtige Prüfung verschoben und schlussendlich konnte ich nicht einmal springen.» Deshalb habe er damals für sich entschieden: «Nein, in Chile springe ich nicht weiter!»

Weg von der Zivilisation

Mit 24 Jahren, kurz nach seinem Bachelorabschluss, zog der Sportler alleine mit seinem Rucksack los. Er hatte genug vom strukturierten Alltag auf dem Sportplatz und dem Studium. Denn neben der Vision von Olympia war ihm seit Jahren eine andere Idee durch den Kopf gegeistert: «Ich wusste schon immer, dass ich auf Weltreise gehen will», sagt Zupeuc mit einem spitzbübischen Lächeln, sodass seine Grübchen zum Vorschein kommen.

Während zwei Jahren reiste Zupeuc von Brasilien hoch in die Karibik. Wenn ihm das Geld zu knapp wurde, habe er in einer Bar oder einem Hostel gejobbt. «Irgendwann war meine Pause so lange, dass ich den Sport komplett vergessen hatte», sagt er. Ein Alltag in der Zivilisation habe er sich kaum mehr vorstellen können.

Spontan entschied sich der Stabhochspringer für eine Atlantiküberquerung mit Segelboot. Sein Ziel: Europa. In den ersten Wochen seekrank, habe er dann schnell gemerkt: «Wenn ich mich übergeben möchte, dann mache ich das gleich.» 40 Tage verbrachte er auf hoher See, lebte von Büchsenessen und abgestandenem Wasser. «Ich sah aus wie ein abgemagerter Schiffsbrüchiger», erinnert sich Zupeuc zurück, der damals schulterlange Haare und Vollbart trug – seine Haare von der Sonne gebleicht. An diesem Mittwochabend trägt er seine Haare kurz, der Bart ist gepflegt. «Ich hatte zwei Jahren kein Zuhause und keine Privatsphäre», erzählt Zupeuc. Das einzige was er sich also wünschte: einen geregelten Alltag und ein Ziel vor Augen.  

Zurück an die Stabhochsprung-Spitze

All dies hat der Chilene nun in der Schweiz gefunden. Auch wenn der Trainingsaufbau hart war und Zupeuc einige Blockaden überwinden musste, sei er glücklich. «Ich habe zwar wegen meines ganzen Stabhochsprung-Fiebers meine Familie verlassen», sagt er nachdenklich. Doch es habe sich gelohnt, fügt er an.  

Inzwischen trainiert der Chilene fünf Mal in der Woche bei der Leichtathletik Vereinigung Winterthur. Mit seinem Trainingsfortschritt ist Zupeuc zufrieden. «Ich bin diesen Winter stabil fünf Meter gesprungen. Und es ginge noch mehr!», sagt er hoffnungsvoll. In Zupeucs Alltag bleibt neben Training und Arbeit kaum eine freie Minute. Für den Moment sei das aber gut so, sagt Zupeuc. Denn er hat wieder ein Ziel für diesen Sommer: die Panamerikanischen Spiele in seinem Heimatland Chile.

Mahara Rösli